Die schweren
Jungs
Aus Stelle

Informationen zur Haltung von Herdenschutzhunden
von der Sachverständigen für Tierschutz
Dr. med. vet. Tatjana Rusch

Wir klären auf

Wer sind die schweren Jungs in 21435 Stelle?

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Fragen zu Herdenschutzhunden

Das sind zwei Herdenschutzhunde der Rasse Kangal. Auf dieser Seite möchten sie Menschen über die Besonderheiten von Herdenschutzhunden aufklären.

Die beiden schweren Jungs aus Stelle sind beides Hunde, die - wie sehr viele andere Herdenschutzhunde - aufgrund der Unkenntnis ihrer Halter zu sogenannten „Tierschutz-Hunden“ ohne Vermittlungschancen wurden.

„Teddy“ war von einer Ordnungsbehörde sichergestellt worden, weil er in seinem - zu dem Zeitpunkt noch -  jugendlichen Leichtsinn „out of control“ regelmäßig einen ganzen Ort in Angst und Schrecken versetzte. Dabei wollte er wirklich „nur spielen“, was bei 65kg unkontrollierter Körpermasse für genau niemanden lustig war, sondern gefährlich bis lebensbedrohlich. Damit „Teddy“ die Möglichkeit bekommen konnte, 365/24/7 mit einem passenden Artgenossen zusammen zu leben, bekam der schwere Junge einen Partner in seiner Kragenweite als Mitbewohner.

„Ares“ stammt ursprünglich aus Bulgarien, einem Land, in dem wie in der Türkei oder Moldawien, Kangals regelmäßig für den Herdenschutz eingesetzt und genutzt werden. Dort ist es aufgrund der Nutzung der Hunde (es sind dort wirkliche Nutztiere) üblich, ihnen die Ohren abzuschneiden. Grund dafür ist, dass Bissverletzungen durch Bären und Wölfe an den Ohren so starke Blutungen hervorrufen, dass die Hunde dadurch verbluten können. „Ares“ hat in seinem Herkunftsland die Ohren für den Arbeitseinsatz abgeschnitten bekommen. Er gelangte dann aber doch nach Deutschland und wurde hiervor einem Jahr von einer Tierschützerin aus einem Haushalt gerettet, in dem er vollkommen deplatziert war und ihm niemand gerecht werden konnte.

Nun leben die beiden schweren Jungs in Stelle in einer „Herdenschutzhund-WG“ auf dem Verhaltenstherapiegelände von Tierärztin Dr. med. Tatjana Rusch, die ihnen genau das bietet, was sie brauchen.

Informationen über Herdenschutzhunde:

Was ist ein Herdenschutzhund?
Was ist ein Herdenschutzhund

Mensch, verinnerliche diesen Leitsatz, damit du verstehst, wie Herdenschutzhunde „ticken“:

Ein Herdenschutzhund macht, was er will! Wenn du erreichen willst, dass er das macht, was du willst, dann musst du es schaffen, dass er denkt, dass das, was du willst, das ist, was er will!

Und das erfordert ein hohes Maß an Sachkunde und Kenntnis über Herdenschutzhunde. Es gibt verschiedene Herdenschutzhunderassen. Eine davon ist der Kangal. Wie die Bezeichnung „Herdenschutzhund“ schon sagt, sind diese Hunde dazu gezüchtet worden, Viehherden zu schützen. Das machen sie in der Regel mindestens zu zweit und sie sind Arbeitskollegen einer anderen Abteilung, nämlich von den sogenannten Hüte- und Treibhunden.

Während Hüte- und Treibhunde dazu da sind, die Herde zusammen zu halten, schützen Herdenschutzhunde die Viehherde und Hüte-/Treibhunde vor Wölfen und Bären. Grade in Ländern wie der Türkei, Moldawien usw. sind sie oft mehrere Tage alleine mit der Viehherde in den rauen Bergen und machen dort vollkommen eigenständig und autark ihren Job. Deshalb müssen Herdenschutzhunde nicht nur schwere Jungs sein, sondern auch wirklich harte Kerle, die sich von nichts und niemandem einschüchtern lassen. Wenn man sich überlegt, was es bedeutet, sich mit Wölfen und Bären anzulegen, dann ist schnell klar, dass aus Herdenschutzhundesicht die Auseinandersetzung z.B. des Dackels im Bau mit einem Dachs eine „Lachnummer“ ist.

Herdenschutzhunde sind körperlich und gesundheitlich extrem robuste Hunde. Sie haben dichtes, wetterabweisendes Fell und halten sich bei Wind und Wetter, Eis und Schnee am liebsten immer draußen und ohne Wetterschutz auf. Nur Sonne und Wärme ist nicht so ihr Ding. Weil ihnen schnell zu warm wird, betreten viele Herdenschutzhunde auch ungerne geschlossene (Wohn-)Räume. So ist es auch bei „Teddy“ und „Ares“: Den beiden schweren Jungs ist es ein Greul, in ein Gebäude gehen zu müssen. Für „Teddy“ ist es so unvorstellbar, dass er für ein Verbringen in einen geschlossenen Raum sogar in Narkose gelegt werden muss.

Deshalb leben die beiden Steller schweren Jungs auch ausschließlich im Freien. Natürlich steht ihnen aufgrund tierschutzrechtlicher Vorschriften je eine entsprechende Hundehütte zur Verfügung. Die haben sie aber noch niemals benutzt. Ihr Hundehaus und ihre Kälberhütten nutzen sie schon hin und wieder, insbesondere bei Sonne und Wärme.

Wie verhalten sich Herdenschutzhunde?
Verhalten von Herdenschutzhunden

Kangals und andere Herdenschutzhunderassen werden erst sehr spät erwachsen, nämlich mit 3-4 Jahren. Aber schon ab einem Lebensalter von etwa 2 Jahren bildet sich ihr rassetypisches, starkes Territorialverhalten zunehmend aus. Das heißt, diese Hunde sind sehr wachsam, was sich z.B. durch Lautäußerungen wie Bellen zeigt, wenn sich irgendwer oder – was dem Territorium nähert.

„Teddy“ beispielsweise erkennt aus seiner Sicht regelmäßig eine über seinem Kernterritorium kreisende Drohne als potenziellen Eindringling, was er dieser auch laut grollend verdeutlicht. Außerdem bedeutet ausgeprägtes Territorialverhalten: Wer als Fremder in das Territorium eines Herdenschutzhundes eindringt, hat nichts zu lachen. Und was zum Territorium dazu zählt, bestimmt der Herdenschutzhund – der liest nämlich keinen Grundbuchauszug.

Was bedeutet, der Eindringling hat nichts zu lachen?

Der Herdenschutzhund vermittelt demjenigen durch seine Körpersprache bzw. durch Drohverhalten, dass es ganz schnell Zeit wird, sich vom Acker zu machen. Hält sich der Eindringling nicht daran, fackelt der Hund nicht lange – schließlich würde er sich ja auch nicht mit Wolf und Bär bei Erdbeertee und Räucherstäbchen zu einer Diskussionsrunde zusammensetzen und darüber debattieren, dass Wolf doch bitte lieber wieder nach Hause gehen möge. Und wenn der Eindringling ihm von vornherein dumm kommt, dann macht der Herdenschutzhund sich sofort „gerade“. Er ist schließlich hart genug, Bisswunden von Bären wegzustecken.

Der Mensch, der versucht, einen Herdenschutzhund zu „erziehen“ oder sich gegen ihn zu stellen, indem er ihm z.B. bedrohlich bzw. mit Aggression oder Härte begegnet, wird sehr schnell die Quittung dafür bekommen: Sicher ist, dass Mensch für den Herdenschutzhund  im Vergleich zu den Gegnern Bär oder Wolf eher die Füllung für den hohlen Zahn darstellt.

Einen Herdenschutzhund anschaffen?
Herdenschutzhunde in Deutschland

Nun stellen wir uns vor, ein solcher Hund, der rassetypisch autark und autonom leben und wirken kann, ausgewachsen eine Körpermaße von 65 kg bei 80 cm Schulterhöhe hat (Bedenke: Masse x Geschwindigkeit= Kraft!) und ein ausgeprägtes Territorialverhalten zeigt, wird als Familienbegleithund in einer Einfamilienhaussiedlung angeschafft.

Der Vorteil für die Familie, die ihn hält ist, dass dort nie wieder eingebrochen wird. Die Nachteile aber sind, dass sie in Zukunft sehr einsam sein werden und kaum noch Freunde haben: Einerseits ist das oft mit der Leinenführigkeit dieser Hunde so eine Sache. Wenn 65 kg spontan den Vorwärtsgang einlegen oder spontan eine Vollbremsung absolvieren, dann lernt der Mensch wieder, wie Naturgewalten wirken können. Auch wird schnell deutlich, dass sich eine vermeintlich stabile Hundeleine manchmal nicht von der Stabilität eines Zwirnsfadens unterscheidet. Brettert nun der schwere Junge außer Rand und Band und bestenfalls in keiner bösen Absicht auf einen Menschen zu und springt ihn an, dann will der dort unten unter 65kg begrabene, im Dreck kullernde Spielzeug-Mensch in Zukunft nicht mehr mit dem Halter dieses Hundes befreundet sein.

Noch schlimmer: Er fängt auch noch Streit an, indem er sich an die Polizei oder zuständige Behörde wendet, weil er Angst um sich, seine Familie und seinen Hund hat. Andererseits wird auch die Anzahl an Freunden nebst Spielkameraden der Kinder, die die Familie - also aus Herdenschutzhundesicht die zu schützende Herde - besuchen möchten, im Laufe der Hundehaltung eher geringer werden: Wer fühlt sich schon herzlich willkommen in einem Haushalt, indem ihm ein gradliniges Augenpaar unmissverständlich zu verstehen gibt: „Du kommst hier nicht rein!“?

Briefe und Pakete kommen auch nur noch selten an und müssen stattdessen in der DHL-Station abgeholt werden. Und der Nachbar ist ebenfalls wenig erfreut, wenn er sich im Garten von seiner Liege erhebt, um sich ein Kaltgetränk zu holen und nebenan grollend jeder Schritt gemeldet wird. Es gibt nur wenige Beispiele, in denen ein Herdenschutzhund tatsächlich selber nicht weiß, dass er ein solcher ist oder aber so sachkundig gehalten und geführt wird, dass seine Halter durch ihn nicht einsam werden oder durch die Haltung die öffentliche Sicherheit gefährden. Vor diesen Hund-Halter-Konstellationen Hut ab.

Für alle anderen Menschen, die sich einen Hund anschaffen wollen, der dringende Rat:
Finger weg von Herdenschutzhunden! Wenn sie euch am Herzen liegen, lasst ihr sie von denen halten, die sich wirklich damit auskennen und ihnen das geben, was sie brauchen. Bitte produziert nicht durch eine falsche Entscheidung weitere Herdenschutzhunde, die in Hinterhöfen in Zwingern „verrotten“.

Wer braucht in Deutschland einen Herdenschutzhund?
Wer braucht einen Herdenschutzhund?

Mit der Rückkehr des Wolfes spielen auch in Deutschland Herdenschutzhunde eine immer größere Rolle. Nur leider werden die wenigsten dieser Hunde auch tatsächlich zum Herdenschutz eingesetzt. Stattdessen findet man Herdenschutzhunde in Deutschland heute wohl in erster Linie in Tierheimen bzw. untergebracht bei Tierschutzorganisationen, die sich dieser Hundeangenommen haben. Oder eben leider weggesperrt in Hinterhöfen: Oft haben die Halter dieser Hunde selber große Furcht vor den Tieren.

Die Zucht und Auswahl tauglicher Hunde für den Herdenschutz erfordert Fachkunde. Dazu gehört nicht nur die Auswahl geeigneter Elterntiere, sondern auch die Aufzucht der Hunde. Entscheidend ist, dass der Herdenschutzhund in einer Herde der Tierart aufwächst, also daran sozialisiert wird, die er später auch bewachen soll. Es wäre eine Schnapsidee, irgendeinen erwachsenen Herdenschutzhund, der beispielswiese noch nie ein Schaf gesehen hat, in eine Schafherde zu setzen und davon auszugehen, dass er die beschützt: Schlechtesten falls sieht er die Schafe als jagdbare Beute an und dann wäre das mit dem Herdenschutz eine Milchmädchenrechnung.

Also: In Deutschland werden Herdenschutzhunde gebraucht zum Schutz von Viehherden vor Wölfen. Auch braucht man sie zur Bewachung von Objekten wie z.B. großer Photovoltaik-Flächen wie an der A 24 „tief im Osten“. Sonst braucht hier in Deutschland eigentlich niemand einen Herdenschutzhund wie den Kangal.

Denn: Nur wenige dieser Hunde haben das Glück, dann doch so ihren Bedürfnissen entsprechend gehalten zu werden, wie die schweren Jungs aus Stelle. Die haben sich übrigens zur Aufgabe gemacht, Obacht auf das Verhaltenstherapiegelände der Tierärztin Dr. Tatjana Rusch zu geben. Angemerkt sei noch, dass Herdenschutzhunderassen wie der Kangal in einigen Bundesländern auf den sogenannten Rasselisten stehen.

Weitere Infos zu (arbeitenden) Herdenschutzhunden finden Sie hier →

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Dr. med. vet. Tatjana Rusch | Prakt. Tierärztin
Kleintierpraxis in 21435 Stelle (Verhaltenstherapiegelände in 21435 Stelle)

  • Zusatzbezeichnungen: Akupunktur, Verhaltenstherapie, Homöopathie, Tierschutzkunde (Kleintiere)

  • Sachverständige Prüferin nach NHundG: theoretische und praktische Sachkundenachweise / Wesenstest

  • Gespannprüferin für Blindenführhunde

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